Die
kalte Jahreszeit hat die frohen Farben in unserer Umgebung
verdrängt. Auch auf den Flugplätzen herrscht Ruhe und
außer ein paar hart gesottenen Typen gibt es kaum jemanden
zu sehen. Dabei bietet gerade die kalte Jahreszeit ab und zu
unvergessliche Flugstunden mit einmaligen Landschaften. Wir steigen
also in das Flugzeug, rollen zum Start, erheben uns in die Lüfte
und ab jetzt sind wir auf uns allein gestellt. Richtig? Nein!
Wir sind nicht allein. Als "Pilot in Command" tragen
wir zwar die volle Verantwortung, aber da gibt es noch
eine nette Stimme im Radio und ein Augenpaar, welches
am Radarschirm auf uns Acht gibt.
Als ich vor
Jahren meine Pilotenausbildung in den USA absolvierte, erschien
mir gerade die Radiokommunikation am Funk als großes
und damals scheinbar unüberwindbares Hindernis. Von meinem
ersten Eintreten mit meinem Fluglehrer in die Kontrollzone und
der Landung auf dem Wichita Midcontinental Airport verstand ich
Bahnhof. Zwei Tage später kam die Erlösung: die netten
Lotsen vom Wichita Radar Center luden mich für einen ganzen
Tag in den Turm ein und halfen mir damit zu verstehen, worum
es überhaupt geht und auch meine Angst vor dem Funken zu überwinden.
Darüber hinaus blieb mir eine Sympathie, welche ich seither
für diese Berufsgruppe empfinde.
Seit damals
flog ich mehrere größere Flughäfen
an wie Seattle, Los Angeles, Salt Lake City, Sevilla und Warschau,
um ein paar zu nennen und immer wieder sprach ich mit diversen
Lotsen. Ich sehe in ihnen in erster Linie nicht Vertreter der
diversen Behörden wie z.B. der FAA oder Austrocontrol. Für
mich bleiben sie bis heute vor allem Menschen, die mir in verschiedenen
Situationen helfen oder einfach ein Auge auf mich werfen und
mich somit auch unterstützen, wenn es einmal brenzlig werden
soll. Dass sie auch Ecken haben können ist mir klar. Wer
von uns hat keine? Wie sehen aber sie das? Was denken sie über
uns Piloten? Diese und ähnliche Fragen gingen mir schon
seit längerer Zeit durch den Kopf. Als sich einmal Marcus
Irsigler bei mir per eMail wegen aviator.at meldete und er sich
als Radarlotse aus Linz herausstellte, ergriff ich die Gelegenheit.
Ein paar Monate nach dem ersten Kontakt trafen wir uns in der
Halle des Linzer Flughafens zu einem kurzen Interview:
Christoph Barszczewski: Wie
wird man bei uns in Österreich zum Lotsen?
Marcus
Irsigler: Die
Voraussetzungen für
eine Bewerbung bei der Firma Austro Control als Fluglotse sind
Matura, Englischkenntnisse und ein Höchstalter von 24 Jahren.
In mehreren Selektionen werden die Bewerber ausgesiebt. Dann
beginnt man eine Ausbildung auf modernsten Simulatoren in Wien.
Nach mehrjähriger Ausbildung kommt man auf seinen Arbeitsplatz,
für den man vorgesehen ist und muss dort noch ein Arbeitsplatzrating
analog zu dem Typenrating bei den Piloten machen.
C.B.: Welche
besonderen Fähigkeiten
zeichnen einen Lotsen aus?
M.I.: Die
Fähigkeit der räumlichen
Vorstellungsgabe und wichtige Entscheidungen schnell zu treffen.
C.B.: Gibt es unter den Lotsen auch aktive
Piloten?
M.I.: Sehr viele. Wir haben Segelpiloten,
PPL Inhaber, Ballonfahrer, Freelancer bei Bedarfsflugunternehmen,
etc.
C.B.: Wie
lange bist du bereits als Lotse tätig? Wie bist du dazu
gekommen?
M.I.: Zur
Fliegerei bin ich über meinen
Bruder, der Pilot bei der Lufthansa ist gekommen. Ich bin seit
1994 in der Firma und seit ca. drei Jahren mit der Ausbildung
für den Tower in Linz fertig.
C.B.: Was
macht für dich
diese Arbeit im Alltag besonders leicht, schwierig und attraktiv?
M.I.: Selbständig Entscheidungen zu treffen
und Verantwortung zu tragen. Die Arbeit findet von einer Situation
zur anderen statt. Man "schleppt" nichts mit. Man sollte genau
wissen, was in den letzten 5 Minuten passiert ist, aber was 10
Minuten her ist, ist bereits völlig unwichtig. Das macht
die Arbeit leicht, schwierig und attraktiv.
C.B.: Was ist die Hauptaufgabe deiner Arbeit?
M.I.: Für
Sicherheit und Effizienz zu sorgen.
C.B.: Gibt es viel Routine bei dieser Art
der Arbeit?
M.I.: Dies
ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Viele Leute meinen, wir
sitzen 40 Jahre lang im Turm und sagen nur "cleared to land". Das Gegenteil ist der Fall - keine Situation
gleicht völlig der anderen.
C.B.: Gibt es in deiner Praxis Unterschiede
in der Arbeit mit Piloten der Allgemeinen Luftfahrt und Berufspiloten
(Linienpiloten)? Wie ist im Generellen das Niveau?
M.I.: Ich
kann nur über den Funkverkehr
sprechen, die fliegerischen Fähigkeiten kann ich natürlich
nicht beurteilen. Berufspiloten und vielfliegende Privatpiloten
funken natürlich weitaus professioneller als "Scheinerhalter".
Funken ist reine Übungssache. Es ist meist sehr schnell
erkennbar, was man wem zumuten kann. Mit weniger geübten
Privatpiloten spricht man halt langsamer. Das Niveau ist generell
zufrieden stellend; es gibt aber leider auch immer wieder "Ausreißer",
bei denen die Funkkenntnisse so schlecht sind, dass es ein sicherheitsrelevantes
Problem darstellt.
C.B.: Was
denken die Lotsen über Piloten
der "kleinen" Luftfahrt?
M.I.: Mit
Privatpiloten bestehen mehr persönliche
Kontakte als mit Berufspiloten. Es gibt immer wieder private
Treffen, Einladungen zu Clubfesten, etc. Bei der Arbeit selbst
hat man keine Zeit zu unterscheiden. Es gibt klare Richtlinien
nach denen gearbeitet wird. Alle Piloten sind unsere Kunden und
werden entsprechend "bedient".
C.B.: Wie
sind im Allgemeinen die Sprachkenntnisse der österreichischen und ausländischen
Piloten was Englisch betrifft?
M.I.: Leider
glauben viele Piloten sie müssen
Englisch sprechen, obwohl die Kenntnisse dafür einfach nicht
ausreichend sind. Am Readback von so mancher Freigabe erkannt
man sofort, dass der Pilot überhaupt nicht verstanden hat,
was man von ihm will. Ein Sicherheitsproblem, mit dem ich mich
als Pilot nicht wohl fühlen würde. Man kann in Österreich
auf jeder Frequenz auch auf Deutsch funken und sollte unbedingt
Gebrauch davon machen, wenn es der Sicherheit dient. Wenn ich
nicht sicher bin, ob ich eine Anweisung verstanden habe, dann
muss ich das unbedingt klarstellen!
Ausländische Piloten funken meistens sehr gut. Ich denke
aber nicht, dass das Niveau im Ausland höher ist, sondern
dass einfach die erfahrenen Piloten nach Österreich kommen
und die Wenigflieger eher Scheu davor haben, ins Ausland zu fliegen.
C.B.: Gibt
es manchmal Verständigungsschwierigkeiten?
Was machst du in solchen Situationen?
M.I.: Leider öfter. Wenn man erkennt,
dass der Pilot Probleme hat, eine Anweisung zu verstehen, wiederholt
man sie zuerst etwas langsamer oder auch anders formuliert. Bei österreichischen
Piloten spreche ich oft auch Deutsch. Gefährlicher wird
es, wenn ein Pilot recht fließend funkt und sehr souverän
dabei wirkt, in Wirklichkeit aber gar nichts davon versteht.
C.B.: Hast du in deiner Praxis mit einem Notfall
zu tun gehabt?
M.I.: Kleine
Vorfälle passieren immer
wieder. Persönlich am Funk hatte ich zum Glück erst
einmal mit einem echten Notfall zu tun gehabt. Eine Maschine
konnte die Höhe nicht halten und machte letztendlich eine
Notlandung im Donautal.
C.B.: Gab es auch lustige Erlebnisse im Verlauf
deiner beruflichen Laufbahn?
M.I.: In
der Situation passieren immer wieder witzige Dinge, sind aber
schwer nachzuerzählen.
C.B.: Wie
kann man als Pilot mit wenig Erfahrung doch auf kontrollierten
Flugplätzen
landen?
M.I.: Man
tut es einfach! Ich würde es
sogar jedem Piloten dringend anraten, immer wieder mal bei einem
Tower "reinzurufen" und durch eine Kontrollzone zu fliegen oder
vielleicht auch mal auf einem Flughafen zu landen und einen Kaffee
zu trinken. Man muss sich ja nicht die Stoßzeit dazu aussuchen. Übung
macht den Meister und es gibt viel zu viele Piloten, die sich
nicht mit einem Lotsen funken trauen. Es besteht keinerlei Grund,
irgendwelche Hemmungen davor zu haben. Ich habe bei Funkkursen
sehr häufig Kontakt mit Piloten von kleinen Flugplätzen
und eines meiner Hauptziele dabei ist, den Piloten die Scheu
vor Flughäfen zu nehmen! Ich bin immer sehr bemüht
Piloten aufzuklären, dass auf der anderen Seite auch nur
ein Mensch sitzt, der vielleicht mal einen besseren oder schlechteren
Tag hat und der genauso Fehler macht.
Leider kursieren
auch die wildesten Geschichten darüber,
wie schlimm Piloten auf Frequenzen ermahnt, beschimpft oder ähnliches
werden. Interessanterweise sind diese Geschichten umso mehr verbreitet,
je weniger die Piloten wirklich mit Lotsen funken. Ich kann das
aus der Praxis absolut nicht bestätigen. Piloten sind Kunden
und entsprechend zu bedienen. Sollte ein Pilot sich zu Unrecht
schlecht behandelt vorkommen, kann ich ihm nur empfehlen sich
zu beschweren. Alle Funkgespräche werden aufgenommen und
können jederzeit nachvollzogen werden. Mehr muss dazu eigentlich
nicht gesagt werden.
C.B.: Kann
man den Funkverkehr als Pilot irgendwie üben?
M.I.: Einerseits
in der Praxis, anderseits kann ich jedem Piloten empfehlen,
regelmäßig
in unser neues Internetportal zum Thema Flugfunk zu schauen
( www.radiocheck.at ).
Auf dieser Seite bieten wir bereits Unterstützung bei der
Funkausbildung an. Wir wollen aber auf vielfache Anfragen hin
unser Angebot erweitern und vielfältige Übungsmöglichkeiten
für Privatpiloten bieten.
C.B.: Was
sind die meisten Missverständnisse
im Funkverkehr und wie kann man sie vermeiden?
M.I.: Missverständnisse sind menschlich,
passieren ständig und in allen Bereichen. Solange der Flugfunk
noch mit Sprache funktioniert - und das wird nicht mehr ewig
sein - wird es immer Missverständnisse geben. Das Wichtigste
ist, sie zu 100 Prozent auszuräumen.
C.B.: Wenn
du alle Piloten der "kleinen" Luftfahrt
auf einen Schlag für ein paar Minuten vor dir hättest
- welche Botschaft würdest du an sie richten?
M.I.: Habt keine Hemmungen vor dem Funken;
seid euch bewusst, dass Lotsen zu eurer Sicherheit und eurem
Service da sind. Man kann weitaus weniger falsch machen, wenn
man an einer Frequenz ist und jemand zusieht was man macht.
C.B.: Vielen
Dank für
dieses aufschlussreiche Interview!
Marvus Irsigler
ist für Austro Control als Lotse auf Linz Turm und Linz
Radar tätig.
Das Interview führte mit ihm Christoph Barszczewski, aviator.at Dieser
Beitrag ist vollständig in der Ausgabe 6/2005 von Sky
Revue erschienen.
Weitere Beiträge zum Thema ATC, Funk und Lotsen von Aviator.at:
"Interview: Der Fluglotse hilft dir." Dieses Interview mit Kenneth, einem Fluglotsen, ist vor ein paar Jahren auf einem mittelgroßen, amerikanischen Flughafen in Kansas zustande gekommen. Welche Einstellung hat er zu General Aviation Piloten?
In dem 2. Teil des Interviews geht es um: wer sind die Lotsen, wie werden Sie ausgebildet, wie sehen sie ihre Aufgaben? Wie funktioniert das amerikanische System für VFR Piloten am Beispiel des Luftraumes Charlie? Was ist "Flight Following"? Auch eine spannende Geschichte aus der Praxis und die Pointe dazu...
"Interview: Aus den Fehlern lernen..." Dieses Interview in Hutchinson, KS - einem kleineren kontrollierten Flughafen Klasse D, verlief ein wenig anders als geplannt.
Wichita Tower im Alltag: hören Sie einen kurzen Tonbeispiel der Radiokommunikation von ICT - eine MP3-Datei zum Downloaden (etwa 3 Min., 1,3 MB)