Polen war
für bisher für mich ein „weißer Fleck“
auf der Landkarte. Dies sollte sich ändern, als mir Christoph,
ein Fliegerfreund vorschlug, nach Ketrzyn (Rastenburg), Masuren
zu fliegen. Er schlug auch vor, die Organisation dieser Reise
zu übernehmen, sodass ich mich nur um die Planung der Anreise
zu kümmern brauchte. Nach einiger Suche in der Jeppesen-Karte
fand ich den Flugplatz Ketrzyn-Wilamowo (EPKE), nahe an der Grenze
zur russischen Enklave Kaliningrad in einer Seenlandschaft, welche
wie Finnland als Land der tausend Seen bezeichnet wird.
Da Christoph
und seine Frau Regina mit einer Citabria anreisen wollten, bemühte
ich mich um einen Fliegerpartner, um mit ihm die Flugreise mit
dem clubeigenen UL, IKARUS 42 durchzuführen. Ich fand ihn
rasch in meinem Fliegerpartner Hans, der dieses Gebiet ohnedies
mal mit dem PKW zu bereisen vor gehabt hatte. Der Flugplan sah
einen Durchflug durch Osttschechien und einen Zwischenstopp in
Katowice- Pyrzowice (EPKT) vor, um dort die Passkontrolle und
das Tanken durchzuführen.
Die „Masurische Seenplatte“ ist besonders für
Wassersportler und Naturliebhaber interessant und gilt als polnische
Hochburg für Aktivurlauber. Die größeren Seen
im Kerngebiet Masuren sind mittels ausgebauten Kanälen verbunden,
sodass eine durchgehende Wasserstraße mit einer N/S- Ausdehnung
von ca. 80 km befahren werden kann. Zwischen den Seen liegende
Waldgebiete und Moorwiesen vermitteln den Eindruck einer Urtümlichkeit
der Landschaft, die im „Westen“ schon längst
verlorengegangen ist. Es gibt nur wenige größere Ortschaften,
die über endlos lange Alleen miteinander verbunden sind.
Kein Wunder also, wenn in der Hauptsaison Juli- August zwischen
Wegorzewo (Angerburg) im Norden und Pisz (Johannisburg) im Süden
die Unterkünfte knapp werden und die Seeufer in den Ortsgebieten
von Erholungssuchenden stark bevölkert sind. Etwas außerhalb
dieser Zentren genießt man jedoch „Natur pur“.
Frei zugängliche Uferzonen mit Anlege- und Campingmöglichkeiten
für die Segler und Kajakfahrer sowie schöne Uferwege
laden zum Radfahren, Wandern und Reiten ein. Neben den dominierenden
Wassersportarten auf den Seen und Flüssen ist hier besonders
der Pferdesport zu erwähnen, der auf den Wurzeln der preußischen
Pferdezuchttradition anknüpfend, einen regelrechten „Reiterboom“
ausgelöst hat.
Aber
auch der Flugsport hat aufgrund der bestehenden Infrastruktur
am Flugplatz Wilamowo viele Anhänger gefunden. Dieser Platz
besteht bereits seit dem 2. Weltkrieg als Teil der Infrastruktur
für das Hitler- Hauptquartier „Wolfsschanze“.
Betreiber des Platzes ist der örtliche Aeroclub. Seine ehrenamtlichen
Mitglieder organisieren mit großem Engagement mehrere jährliche
Großveranstaltungen wie z. B. die internationale Fliegermesse
im Mai und das Luftfahrtfest Anfang August. Es können Aussichtsflüge,
u.a. auch mit dem weltweit größten einmotorigen Doppeldecker
AN-2 durchgeführt werden und die Fliegertaverne lädt
zu schmackhaften Speisen ein. Der Flugclub organisiert gerne auch
individuell abgestimmte Programme für ganze Fliegergruppen.
Übernachtungsmöglichkeiten gibt es in Ketrzyn und Gizycko
oder stilgerecht für Reitsportfreunde im nahe gelegenen Wajsznory-
Reitergut mit seinen exquisiten Gästezimmern im schlossartigen
Hauptgebäude.
Die Anreise
wurde am Fr., 12. August so vereinbart, dass beide „Teams“
am Zwischenlandeplatz in Katowice- Pyrzowice (EPKE) mit einer
Zeittoleranz ca. 10 Min. zur Passkontrolle und zum Tanken ankommen
sollten. So starteten Hans und Ich von Spitzerberg- LOAS um 10.50
sowie Christoph mit seiner Frau ca. 15 Min. später von Vöslau-
LOAV. Unsere Route führte entlang der Grenze zur Slowakei
über die tschechische Grenze bei Breclav (Lundenburg).
Ankunft
in Polen
Am
Flugplatz Holesov (LKHO) vorbei führte die Route weiter über
den Flughafen Ostrava- LKMT zum polnischen Grenzüberflugpunkt,
Intersection PADKA. Da in Ostrava gerade eine Boeing startete,
mussten wir den Flughafen östlich umfliegen. Kurz vorher
überholte uns Christoph unter Winken mit den Tragflächen
der Citabria. So musste ich nur noch den Vektoren nachfliegen,
die der Fluglotse von Ostrava über Funk an Christoph anwies.
Chris hatte einige Minuten vor uns auf der Piste 27 des Flughafens
Katowice aufgesetzt, sodass bereits der Tankwagen angerollt kam
und so auch wir gleich nachtanken konnten.
Der
GA- Abstellbereich am Flughafen liegt beim östlichen Ende
der Piste, sodass uns nach der Betankung mittels Tankwagens (nur
Avgas erhältlich) ein Kleinbus zum GAC im Hauptgebäude
brachte. Zufolge der polnischen Muttersprache von Christoph wurde
es trotz Security- Sperre möglich, in das Restaurant zu gelangen,
dort ein Mittagsmenue zu konsumieren. Nach Aufgabe des Flugplanes
über Funk erhielten wir die Freigabe vom Tower, für
einen Direktflug in Formation nach Ketrzyn.
Der Weiterflug erfolgte östlich von Lodz und ab Querung der
Weichsel über immer dünner besiedeltes Gebiet und schließlich
über immer größere Waldflächen, bis nach
ca. dreistündigem Flug am Flugplatz Ketrzyn die Landeinformation
eingeholt werden konnte. Ich war nun erleichtert, dass ich von
Christoph das Anflugblatt erhalten hatte und wir uns deshalb in
Anbetracht der gekreuzten Pisten gut orientieren konnten.
Ankunft
in Masuren
Am
Flugplatz wurden wir durch den Betriebsleiter sehr freundlich
begrüßt. Es stand auch bereits der Wagen bereit, der
uns zum Wajsznory-Gut brachte, wo uns der Eigentümer des
Flugplatzes, Herr Stanislav Tolwinski und seine Frau Barbara,
wohl auch aufgrund der freundschaftlichen Bande zu Christoph überaus
herzlich willkommen hießen. Sie luden uns nach kurzem Rundgang
durch das neu renovierte Hauptgebäude zum gemeinsamen Abendessen
ein. Nach dem Bezug der Gästezimmer im 1. Stock und einem
opulenten Mahl mit Räucheraal, gebratenem Fisch, verschiedenen
Pasteten und Nachspeisen rettete uns nur ein längerer gemeinsamer
nächtlicher Spaziergang im weitläufigen historischen
Park vor allzu viel Übergewicht.
Das Programm für den nächsten Tag sah den Besuch der
beiden urbanen masurischen Zentren Gizycko (Lötzen) und Mikolajki
(Nikolaiken), sowie des Wallfahrtsortes „Swieta Lipka“
(Heilige Linde) vor.
In Gizycko fand bei unserem Besuch gerade eine Segelmeisterschafts-
Regatta statt, an der Jugendliche aus ganz Polen teilnahmen.
In
Mikolajki besuchten wir auch einen im Hafen liegenden Zweimastschoner,
der einem historischen Segelschiff nachgebaut ist. Dieser Großsegler
wird vor allem für Veranstaltungen genützt, kann jedoch
samt zugehöriger Crew auch für Segeltörns gemietet
werden. Besonders sehenswert dabei sind die beiden Großmaste
mit der Takelage sowie die Innenausstattung aus poliertem Mahagoniholz
und glänzenden Messingbeschlägen.
Swieta Lipka liegt ca. 10 km südwestlich von Ketrzin und
ist ein weithin bekannter Wallfahrtsort mit einer beeindruckenden
Barockkirche. Mit ihrem Doppelturm erinnert sie stark an den Mariazeller
Dom. Sie beherbergt u.a. schöne Gemälde sowie eine der
größten Orgeln Polens, die täglich mehrmals durch
Organisten des Jesuitenordens gespielt wird. So konnten wir auch
selbst die ungemeine Klangfülle dieser Orgel erleben.
Bild 69
Trotz
des nicht gerade berauschenden Wetters mit einer Wolkenbasis von
ca. 1000 ft. wollten wir am nächsten Vormittag diese Bilderbuchlandschaft
unbedingt auch von oben sehen. Stanislav schlug deshalb vor, mit
seiner Socatta DB 9 vor uns zu fliegen und uns so über das
Seengebiet zu geleiten. Somit starteten wir in Dreier- Formation
von Wilamowo in Richtung NO- nach Wegorzewo. Von dort überflogen
wir alle großen Seen und die Ortschaften, die wir am Vortag
mittels PKW befahren hatten, in großen Schleifen. Christof
übersetzte dabei alle von Stanislav über Funk gegebenen
polnischen Kommentare. Somit gewannen wir einen überraschend
guten Überblick und historischen Einblick über das gesamte
Kerngebiet Masuren.
Am frühen Nachmittag mußten Hans und ich leider wieder
die Heimreise antreten, da für den nächsten Tag Schlechtwetter
angekündigt war. Wir verabschiedeten uns somit auch von unseren
Fliegerpartnern mit der Citabria, da Christoph und Regina noch
einige Tage Urlaub hatten.
Wir nahmen die gleiche direkte Route zurück über Katowice
und landeten knapp vor dem Eintreffen der Gewitterfront wieder
glücklich am Spitzerberg.
Hans und ich haben mit dieser Flugreise nicht nur Fliegerfreunde
in Polen gewonnen. Wir haben auch unseren Fliegerhorizont erweitert
und sind dem Ziel, ganz „Ost Europa“ zu befliegen,
wieder ein Stück näher gekommen.
Peter Geibel