Als
verantwortungsbewusster Pilot gehe ich oft und gerne zu diversen
Fachvorträgen rund um die "Fliegerei". Selbst
das Thema "Räumliche Desorientierung" ist mir
aus meiner IFR-Ausbildung in den USA sehr gut bekannt, sowohl
in der Theorie als auch in der Praxis. Deshalb war auch meine
Motivation ganz einfach das Interesse, ob ich noch etwas zu
diesem Thema von einem Fliegerarzt erfahren könnte und
meine Erwartungen wurden übertroffen.
17 Teilnehmer , alle Piloten hatten sich entschieden zu kommen.
Die von Anfang an sehr angenehme Atmosphäre getragen
von gegenseitigem Kennenlernen und Gesprächen über
die Fliegerei und ein ausgezeichnetes Buffet trugen dazu,
dass sich der offizielle Beginn bis um eine halbe Stunde verzögerte.
Danach gestärkt, vertieften wir uns alle in die Materie.
Im ersten Teil stellten die beiden Vortragenden auf
sehr plakative und kompetente Art und Weise dar, dass die
räumliche Desorientierung praktisch jedem Piloten passieren
kann, auch unter Wetterbedingungen, die man noch als legale
Sichtflugverhältnisse (VFR) bezeichnen kann. Man kann
sich als Sichtflieger im Rahmen der Legalität befinden
und trotzdem in problematische Situationen geraten. Dies wurde
sowohl mit den statistischen Daten aus der Allgemeinen Luftfahrt
als auch mit dem medizinischen Hintergrund belegt. Was diese
Veranstaltung noch zusätzlich aufwertete waren die Fragen,
Aussagen und Kommentare der einzelnen teilnehmenden Piloten.
Manche von den Anwesenden hatten schon selbst dieses Phänomen
kennengelernt. Kurz gesagt:
Räumliche Disorientierung kann jedem passieren und
passiert auch wirklich, sowohl den VFR - Piloten als auch
den Profis.
Im Vortrag selbst tauchte der Begriff der "Kinetose"
(Luftkrankheit) samt körperlicher und psychischer Symptome
auf. Für mich persönlich wurde es sehr spannend
als Dr. Husek zum Thema "Vertigo" überging.
Dieses Phänomen trifft bei plötzlichen bzw. rapiden
Kopfbewegungen im konstanten Kurvenflug auf.
Daher kommt die Empfehlung, den Kopf beim Fliegen, vor allem
beim Kurvenflug ruhig zu halten. Mir war diese Empfehlung
ohne Kenntnis der Hintergründe bereits bekannt. Neu war
aber die Erkenntnis nach dem Vortrag, als ich die Inhalte
kurz meiner Frau und meiner ständigen Flugbegleiterin
in einer Person schilderte. Stellen Sie sich vor! Da fliegen
Sie jahrelang mit Ihrer Partnerin, um nach einem Vortrag wie
diesem festzustellen, dass sie bisher in solchen Situationen
intuitiv genau falsch reagierte. Nachdem ihr immer wieder
schlecht geworden war, hatte sie versucht, sich durch das
Hinüberschauen verbunden mit den entsprechenden Kopfbewegungen,
abzulenken. Mit der Folge, dass ihr noch schlechter wurde.
Daher:
den
Kopf beim Kurvenflug ruhig halten ! Das gilt auch für
Ihre Passagiere!
Beim Vortrag wurden noch unter- und überschwellige Reize
angesprochen und diese Begriffe wurden uns allen bei den praktischen
Übungen sehr klar.
Im zweiten Teil des Abends setzten wir uns mit Experimenten
auf einem Drehstuhl auseinander und erlebten das gerade theoretisch
besprochene in der Praxis. Jeder Teilnehmer hatte die Möglichkeit,
sich in den Stuhl zu setzen und einige Erfahrungen zu sammeln
und diese auch durch Beobachtung anderer Kollegen mit der
Theorie zu vergleichen. Auch wenn man etwas "weiß",
ist es nicht dasselbe, etwas zu "erleben".
Ich persönlich tat etwas, was ich beim Fliegen nie im
Leben machen würde. Um die eigene Grenzen und Körperreaktionen
besser kennenzulernen, trank ich vor der Übung noch schnell
drei Bier. Der Effekt war erschreckend! Mir wurde beinahe
schlecht, obwohl ich nach 20 Jahren Erfahrung als Segelskipper
ein eher unempfindlicher Typ bin. Also, jetzt weiß ich
es noch besser: Hände Weg vom Alkohol lange genug vor
dem Fliegen!
Jetzt aber zu der Übung selbst: man wurde mit verbundenen
Augen genau in der Achse des Stuhls festgezurrt. Während
man über Kopfhörer verschiedene Aufgaben und Instruktionen
zu bewältigen hatte ging es los. Mit den Daumen zeigte
man den beobachtenden Kollegen die eigene Wahrnehmung an,
ob und eventuell in welche Richtung man sich zu drehen glaubte.
Bei jedem war die Reizschwelle sehr deutlich zu beobachten.
Jede Drehungsbeschleunigung unter einem gewissem Wert, wen
auch individuell variierend, wurde von dem Betroffenen nicht
wahrgenommen. Stellen Sie sich vor, was das in der Praxis
bedeutet: Sie können, scherzlich ausgedrückt, einen
Looping machen ohne es zu merken - vorausgesetzt, Sie drehen
sich langsam genug. Ein anderes Szenario ist ebenfalls möglich:
Ihr Autopilot geht aufgrund eines Ausfalls der Vakumpumpe
baden und das Flugzeug ändert langsam die Fluglage. Das
werden Sie unter Umständen auch nicht "bemerken"
können!
Ein
weiteres Phänomen im Stuhl: sobald die Drehung lange
genug mit einer kostanten Geschwindigkeit andauerte, wusste
ich nur von den "Behauptungen" der beobachtenden
Kollegen, dass ich mich ziemlich schnell um die eigene Achse
drehte. In diesem Moment hatte ich einfach den Eindruck, dass
ich ganz still, bewegungslos und ruhig am Boden saß.
Das einzige was dieses Bild trübte war der Versuch sich
im Stuhl zur Seite zu lehnen oder einfach den Kopf zu senken.
Die Sensation war einfach unbeschreiblich! Die an etwas anderes
gewöhnten Sinne waren ganz einfach durch das ungewöhnliche
Sinnesbild verwirrt. Stellen Sie sich vor: Sie sitzen in Ruhe
vor dem Fernsehen und nur weil Sie den Kopf nach unten senken,
sagt Ihnen Ihr Körper plötzlich, dass Sie in einem
schnellen Trüdeln zwei Stockwerke tiefer zu Nachbarn
hinuterfallen. Behalten Sie aber den Kopf lange genug gesenkt,
sagt Ihnen wieder Ihr Körper, dass Sie sich überhaupt
in keiner Bewegung befinden. So etwas muss man einfach einmal
ausprobieren, wenn auch nicht gleich so extrem, wie ich es
gemacht habe.
Ich garantiere Ihnen: wenn Sie diese Übungen mitgemacht
haben werden Sie sich noch deutlicher einprägen, sich
nie im Leben auf die eigenen Sinne anstatt auf die Instrumente
im Instrumentenflug zu verlassen! Und Sie werden um eine interessante
Erfahrung reicher sein.
Chris Barszczewski
Wer
- die Vortragenden: die beiden Fliegerärzte Dr. Christian
Husek und Dr. Valentin Leibetseder
Was - Vortragsreihe "Menschliches Leistungsvermögen
- human performance & limitations" |