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++ "Räumliche Desorientierung im Flug" ++
Aviators Bericht vom Vortrag und Selbsterfahrung im Drehsessel
in Wien am 16.01.2004
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Als verantwortungsbewusster Pilot gehe ich oft und gerne zu diversen Fachvorträgen rund um die "Fliegerei". Selbst das Thema "Räumliche Desorientierung" ist mir aus meiner IFR-Ausbildung in den USA sehr gut bekannt, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis. Deshalb war auch meine Motivation ganz einfach das Interesse, ob ich noch etwas zu diesem Thema von einem Fliegerarzt erfahren könnte und meine Erwartungen wurden übertroffen.

17 Teilnehmer , alle Piloten hatten sich entschieden zu kommen. Die von Anfang an sehr angenehme Atmosphäre getragen von gegenseitigem Kennenlernen und Gesprächen über die Fliegerei und ein ausgezeichnetes Buffet trugen dazu, dass sich der offizielle Beginn bis um eine halbe Stunde verzögerte. Danach gestärkt, vertieften wir uns alle in die Materie.

Im ersten Teil stellten die beiden Vortragenden auf sehr plakative und kompetente Art und Weise dar, dass die räumliche Desorientierung praktisch jedem Piloten passieren kann, auch unter Wetterbedingungen, die man noch als legale Sichtflugverhältnisse (VFR) bezeichnen kann. Man kann sich als Sichtflieger im Rahmen der Legalität befinden und trotzdem in problematische Situationen geraten. Dies wurde sowohl mit den statistischen Daten aus der Allgemeinen Luftfahrt als auch mit dem medizinischen Hintergrund belegt. Was diese Veranstaltung noch zusätzlich aufwertete waren die Fragen, Aussagen und Kommentare der einzelnen teilnehmenden Piloten. Manche von den Anwesenden hatten schon selbst dieses Phänomen kennengelernt. Kurz gesagt:

Räumliche Disorientierung kann jedem passieren und passiert auch wirklich, sowohl den VFR - Piloten als auch den Profis.

Im Vortrag selbst tauchte der Begriff der "Kinetose" (Luftkrankheit) samt körperlicher und psychischer Symptome auf. Für mich persönlich wurde es sehr spannend als Dr. Husek zum Thema "Vertigo" überging. Dieses Phänomen trifft bei plötzlichen bzw. rapiden Kopfbewegungen im konstanten Kurvenflug auf.
Daher kommt die Empfehlung, den Kopf beim Fliegen, vor allem beim Kurvenflug ruhig zu halten. Mir war diese Empfehlung ohne Kenntnis der Hintergründe bereits bekannt. Neu war aber die Erkenntnis nach dem Vortrag, als ich die Inhalte kurz meiner Frau und meiner ständigen Flugbegleiterin in einer Person schilderte. Stellen Sie sich vor! Da fliegen Sie jahrelang mit Ihrer Partnerin, um nach einem Vortrag wie diesem festzustellen, dass sie bisher in solchen Situationen intuitiv genau falsch reagierte. Nachdem ihr immer wieder schlecht geworden war, hatte sie versucht, sich durch das Hinüberschauen verbunden mit den entsprechenden Kopfbewegungen, abzulenken. Mit der Folge, dass ihr noch schlechter wurde. Daher:

den Kopf beim Kurvenflug ruhig halten ! Das gilt auch für Ihre Passagiere!

Beim Vortrag wurden noch unter- und überschwellige Reize angesprochen und diese Begriffe wurden uns allen bei den praktischen Übungen sehr klar.

Im zweiten Teil des Abends setzten wir uns mit Experimenten auf einem Drehstuhl auseinander und erlebten das gerade theoretisch besprochene in der Praxis. Jeder Teilnehmer hatte die Möglichkeit, sich in den Stuhl zu setzen und einige Erfahrungen zu sammeln und diese auch durch Beobachtung anderer Kollegen mit der Theorie zu vergleichen. Auch wenn man etwas "weiß", ist es nicht dasselbe, etwas zu "erleben".
Ich persönlich tat etwas, was ich beim Fliegen nie im Leben machen würde. Um die eigene Grenzen und Körperreaktionen besser kennenzulernen, trank ich vor der Übung noch schnell drei Bier. Der Effekt war erschreckend! Mir wurde beinahe schlecht, obwohl ich nach 20 Jahren Erfahrung als Segelskipper ein eher unempfindlicher Typ bin. Also, jetzt weiß ich es noch besser: Hände Weg vom Alkohol lange genug vor dem Fliegen!
Jetzt aber zu der Übung selbst: man wurde mit verbundenen Augen genau in der Achse des Stuhls festgezurrt. Während man über Kopfhörer verschiedene Aufgaben und Instruktionen zu bewältigen hatte ging es los. Mit den Daumen zeigte man den beobachtenden Kollegen die eigene Wahrnehmung an, ob und eventuell in welche Richtung man sich zu drehen glaubte.
Bei jedem war die Reizschwelle sehr deutlich zu beobachten. Jede Drehungsbeschleunigung unter einem gewissem Wert, wen auch individuell variierend, wurde von dem Betroffenen nicht wahrgenommen. Stellen Sie sich vor, was das in der Praxis bedeutet: Sie können, scherzlich ausgedrückt, einen Looping machen ohne es zu merken - vorausgesetzt, Sie drehen sich langsam genug. Ein anderes Szenario ist ebenfalls möglich: Ihr Autopilot geht aufgrund eines Ausfalls der Vakumpumpe baden und das Flugzeug ändert langsam die Fluglage. Das werden Sie unter Umständen auch nicht "bemerken" können!

Ein weiteres Phänomen im Stuhl: sobald die Drehung lange genug mit einer kostanten Geschwindigkeit andauerte, wusste ich nur von den "Behauptungen" der beobachtenden Kollegen, dass ich mich ziemlich schnell um die eigene Achse drehte. In diesem Moment hatte ich einfach den Eindruck, dass ich ganz still, bewegungslos und ruhig am Boden saß. Das einzige was dieses Bild trübte war der Versuch sich im Stuhl zur Seite zu lehnen oder einfach den Kopf zu senken. Die Sensation war einfach unbeschreiblich! Die an etwas anderes gewöhnten Sinne waren ganz einfach durch das ungewöhnliche Sinnesbild verwirrt. Stellen Sie sich vor: Sie sitzen in Ruhe vor dem Fernsehen und nur weil Sie den Kopf nach unten senken, sagt Ihnen Ihr Körper plötzlich, dass Sie in einem schnellen Trüdeln zwei Stockwerke tiefer zu Nachbarn hinuterfallen. Behalten Sie aber den Kopf lange genug gesenkt, sagt Ihnen wieder Ihr Körper, dass Sie sich überhaupt in keiner Bewegung befinden. So etwas muss man einfach einmal ausprobieren, wenn auch nicht gleich so extrem, wie ich es gemacht habe.
Ich garantiere Ihnen: wenn Sie diese Übungen mitgemacht haben werden Sie sich noch deutlicher einprägen, sich nie im Leben auf die eigenen Sinne anstatt auf die Instrumente im Instrumentenflug zu verlassen! Und Sie werden um eine interessante Erfahrung reicher sein.

Chris Barszczewski

Wer - die Vortragenden: die beiden Fliegerärzte Dr. Christian Husek und Dr. Valentin Leibetseder

Was - Vortragsreihe "Menschliches Leistungsvermögen - human performance & limitations"

Dieser Beitrag wurde in der korrigierten und ungekürzten Fassung in der Ausgabe 1/2004 des österreichischen Flugmagazins "Skyrevue" veröffentlicht.

 

 

 

 

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